In den bayerischen Alpen, wo majestätische Gipfel die Kulisse für malerische Landschaften bilden, steht eine urige Berghütte. Hier, fernab des städtischen Trubels, treffen wir Hildegard, die Protagonistin aus Emma Haushofer-Merks Novelle »Luxuspflänzchen«. Die Geschichte erzählt von den gesellschaftlichen Zwängen und der Sehnsucht nach Liebe und Selbstbestimmung, mit denen Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts konfrontiert waren.
In »Luxuspflänzchen« ringt Hildegard mit ihrer eigenen Unabhängigkeit und einem leidenschaftlichen Gefühl für einen verheirateten Mann. Die Novelle wirft somit Fragen auf, die über ihre Zeit hinaus relevant bleiben: Was bedeutet es, eine Frau in einer von Männern dominierten Welt zu sein? Wie können Frauen ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche mit den gesellschaftlichen Erwartungen in Einklang bringen?
In der Abgeschiedenheit dieser Berghütte haben wir die einzigartige Gelegenheit, Hildegard zu treffen und mit ihr über ihre Erfahrungen zu sprechen. Wir wollen erfahren, wie sie die heutige Zeit im Vergleich zu ihrer eigenen wahrnimmt und welche Fortschritte in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter sie erkennt.
Frau Hildegard, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen. In Emma Haushofer-Merks Novelle »Luxuspflänzchen« lernen wir Sie als eine selbstbewusste Frau kennen, die einen unkonventionellen Lebensweg geht. Beginnen wir mit einer Aussage, die Sie im Laufe der Geschichte treffen: Sie beschreiben sich selbst als »Nutzpflanze« im Gegensatz zu Emmys »Zierpflanze«. Inwiefern spiegelt diese Kategorisierung die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen Ihrer Zeit wider?
Frau Hildegard: Ach, wissen Sie, diese Worte sind mir damals wohl etwas vorschnell über die Lippen gekommen. Es war eine Reaktion auf die Situation, in der ich mich befand, auf die Dynamik zwischen Emmy, Georg und mir. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ja, diese Kategorisierung spiegelt die damalige Zeit sehr treffend wider.
Könnten Sie das etwas genauer ausführen?
Frau Hildegard: Gerne. Sehen Sie, eine Frau wie Emmy, die Schönheit und Anmut besaß, die wurde von der Gesellschaft darauf reduziert. Sie war dazu bestimmt, zu gefallen, zu repräsentieren, ein hübsches Heim zu führen – eben eine »Zierpflanze« zu sein. Von ihr wurde nicht erwartet, dass sie arbeitet, sich bildet oder eigene Meinungen vertritt. Ihre Aufgabe bestand darin, einen Mann zu finden, der sie versorgt.
Und wie sah es mit den »Nutzpflanzen« aus?
Frau Hildegard: Nun, Frauen wie ich, die vielleicht nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprachen, die mussten sich ihren Platz auf andere Weise erkämpfen. Von uns wurde erwartet, dass wir nützlich sind, dass wir arbeiten und für uns selbst sorgen. Uns blieb oft gar nichts anderes übrig, als pragmatisch und stark zu sein.
„Schon als junges Mädchen war mir klar, dass Bildung der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben ist.“
Sie haben es bereits angesprochen: Sie leiten eine wirtschaftliche Schule für Mädchen. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Weg einzuschlagen, und welche Bedeutung messen Sie der Bildung von Frauen bei?
Frau Hildegard: Wissen Sie, schon als junges Mädchen war mir klar, dass Bildung der Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben ist. Damals, im frühen 20. Jahrhundert, war es für Frauen noch lange nicht selbstverständlich, eine höhere Bildung zu genießen. Viele Mädchen wurden darauf vorbereitet, eines Tages eine gute Ehefrau und Mutter zu werden. Doch ich war der festen Überzeugung, dass Frauen genauso fähig sind wie Männer, sich Wissen anzueignen, ihre Talente zu entfalten und einen Beruf auszuüben.
Emma Haushofer-Merk, die Autorin der Novelle, setzte sich ja selbst aktiv für die Rechte der Frauen ein. Inwiefern sehen Sie Ihre eigene Geschichte als Beispiel für die Herausforderungen, vor denen Frauen im frühen 20. Jahrhundert standen?
Frau Hildegard: Emma Haushofer-Merks Engagement für die Frauenbewegung war mir natürlich bekannt und ich bewunderte sie sehr dafür. In meiner eigenen Geschichte sehe ich einige dieser Herausforderungen widergespiegelt. Nehmen wir zum Beispiel die Entscheidung gegen eine Ehe. Obwohl ich Georg liebte, wusste ich, dass eine Beziehung mit ihm gesellschaftlich nicht akzeptiert worden wäre. Die Konventionen der damaligen Zeit ließen eine Trennung oder Scheidung nicht zu.
Das müssen Sie uns genauer erzählen. Ihr Verhältnis zu Georg Werdau entwickelt sich ja im Laufe der Novelle sehr leidenschaftlich. Wie erleben Sie diese Anziehungskraft und inwiefern kollidiert sie mit Ihren eigenen moralischen Vorstellungen und den damaligen Konventionen?
Frau Hildegard: Die Zeit, die ich mit Georg in Starnberg verbrachte, war wunderschön und qualvoll zugleich. Plötzlich erwachten in mir Gefühle, die ich längst begraben glaubte. Ich sehnte mich nach Liebe, nach Zärtlichkeit, nach einem Partner an meiner Seite. Doch gleichzeitig war da dieses Schuldgefühl gegenüber Emmy. Sie war meine Freundin, und es fühlte sich einfach falsch an, mich zu ihrem Mann hingezogen zu fühlen.
Und dann war da natürlich noch der gesellschaftliche Druck.
Frau Hildegard: In der Tat. Eine Scheidung war damals ein Skandal. Emmy wäre stigmatisiert und verstoßen worden. Und auch für mich hätte eine Beziehung mit einem verheirateten Mann den gesellschaftlichen Ruin bedeutet.
Frau Hildegard, Sie entscheiden sich letztendlich gegen eine Beziehung mit Georg. Was waren die ausschlaggebenden Gründe für diese Entscheidung?
Frau Hildegard: Es war die schwierigste Entscheidung meines Lebens. Auf der einen Seite war da die Sehnsucht nach Georg, nach einer gemeinsamen Zukunft. Doch auf der anderen Seite wurde mir immer bewusster, wie tief Emmys Abhängigkeit von Georg war. Sie brauchte ihn, er gab ihr Halt und Sicherheit. „Georg ist einfach wie die Luft, die man atmet“, hatte sie einmal gesagt. In diesem Moment wusste ich, dass ich sie nicht verlassen konnte.
Würden Sie Ihre Entscheidung als Akt der Selbstaufopferung bezeichnen oder sehen Sie darin eher eine Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen?
Frau Hildegard: Wissen Sie, ich glaube, es war eine Mischung aus beidem. Natürlich habe ich auf mein eigenes Glück verzichtet, um Emmy und ihre Ehe zu schützen. Aber gleichzeitig war meine Entscheidung auch ein Schritt in die Unabhängigkeit. Indem ich mich von den gesellschaftlichen Erwartungen löste, gewann ich meine eigene Stärke zurück.
Emma Haushofer-Merks Werke thematisierten ja häufig die Beziehung zwischen Mann und Frau. Inwieweit sehen Sie in Georg und Emmy ein typisches Paar Ihrer Zeit?
Frau Hildegard: Georg und Emmy verkörpern in gewisser Weise die typische Rollenverteilung des Bürgertums im frühen 20. Jahrhundert. Er war der Ernährer, der, der draußen in der Welt stand und arbeitete. Sie führte das Haus, kümmerte sich um das Kind und repräsentierte nach außen hin das perfekte Familienbild. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich eine tiefe Unzufriedenheit.
Glauben Sie, dass Frauen wie Emmy, die sich den damaligen Rollenerwartungen anpassten, glücklicher waren als Frauen, die nach Unabhängigkeit strebten?
Frau Hildegard: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, es gab für Frauen damals keinen leichten Weg. Diejenigen, die sich den Konventionen beugten, mussten oft ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche unterdrücken. Und diejenigen, die nach Unabhängigkeit strebten, wurden oft kritisiert und ausgegrenzt. Es war ein Spagat zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und persönlicher Selbstverwirklichung.
Am Ende der Novelle begeben Sie sich auf eine Reise ins Hochgebirge. Welche Bedeutung hat diese Reise für Sie und Ihr zukünftiges Leben?
Frau Hildegard: Nach den turbulenten Wochen in Starnberg brauchte ich dringend Abstand. Die Reise ins Hochgebirge war für mich wie eine Flucht vor meinen eigenen Gefühlen, vor den gesellschaftlichen Zwängen, vor allem. In der Einsamkeit der Berge, umgeben von der Kälte und Härte der Natur, fand ich langsam zu mir selbst zurück. Es war, als würde mich die unbeugsame Kraft der Berge stärken. Ich erkannte, dass ich allein glücklich sein kann, unabhängig von einem Mann.
Welche Botschaft, denken Sie, wollte Emma Haushofer-Merk mit der Novelle »Luxuspflänzchen« vermitteln?
Frau Hildegard: Ich denke, Emma Haushofer-Merk wollte mit ihrer Geschichte auf die Situation der Frauen ihrer Zeit aufmerksam machen. Sie wollte zeigen, wie eingeschränkt ihre Lebensmöglichkeiten waren, wie sehr sie unter den gesellschaftlichen Konventionen und den patriarchalischen Strukturen litten. Gleichzeitig wollte sie aber auch Mut machen, den eigenen Weg zu gehen, für die eigenen Träume zu kämpfen und sich nicht von den Erwartungen anderer definieren zu lassen. »Luxuspflänzchen« ist daher mehr als nur eine Liebesgeschichte. Es ist ein Plädoyer für die Selbstbestimmung der Frau, für ein Leben in Freiheit und Eigenverantwortung.
„So vieles, wofür wir damals gekämpft haben, ist heute selbstverständlich.“
Frau Hildegard, vielen Dank für Ihre offenen Worte. Sie haben uns einen Einblick in die Herausforderungen gegeben, vor denen Frauen Ihrer Zeit standen. Lassen Sie uns einen Sprung in die Gegenwart wagen. Welche Fortschritte in Bezug auf die Gleichstellung von Mann und Frau sehen Sie in der heutigen Gesellschaft im Vergleich zu Ihrer Zeit?
Frau Hildegard: Ach, wissen Sie, wenn ich mir die heutige Welt so ansehe, dann kann ich nur staunen. So vieles, wofür wir damals gekämpft haben, ist heute selbstverständlich. Frauen studieren, gehen einem Beruf nach, sind finanziell unabhängig. Sie lassen sich scheiden, ohne gleich gesellschaftlich geächtet zu werden. Das hätte man sich zu meiner Zeit kaum vorstellen können.
Wo sehen Sie weiterhin Handlungsbedarf, um die Gleichberechtigung der Geschlechter in Zukunft zu gewährleisten?
Frau Hildegard: Natürlich ist noch nicht alles perfekt. Gerade in Führungspositionen sind Frauen immer noch unterrepräsentiert. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Frauen immer noch ein Balanceakt. Da muss sich noch einiges ändern. Aber ich bin zuversichtlich. Die jungen Frauen von heute sind selbstbewusst und zielstrebig. Sie lassen sich nicht mehr so leicht in traditionelle Rollenbilder zwängen.
Vielen Dank, Frau Hildegard, für das Gespräch. Es war uns eine Ehre, Ihre Perspektive auf die Frauenbewegung und die Gleichstellung der Geschlechter zu erfahren. Wir wünschen Ihnen alles Gute!
Mit diesen nachdenklichen Worten verabschiedet sich Hildegard, die Protagonistin aus Emma Haushofer-Merks Novelle »Luxuspflänzchen«, von uns. Das Gespräch, geführt in der Abgeschiedenheit der bayerischen Alpen, eröffnet uns einen Blick auf die Kämpfe und Sehnsüchte der Frauen zu Beginn des 20. Jahrhunderts – und regt dazu an, über die Fortschritte und Herausforderungen der Gleichstellung der Geschlechter in der heutigen Zeit zu reflektieren. Die Wiederentdeckung von Autorinnen wie Emma Haushofer-Merk lässt uns diese Geschichten neu erleben und bietet die Möglichkeit, aus den Erfahrungen der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.
Emma Haushofer-Merk
Luxuspflänzchen
Novelle (1914). E-Book. Erste Auflage 2024.
Erschienen am 23. September 2024