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Germinal: Ein Nachmittag mit Étienne Lantier

Wir treffen Étienne Lantier an einem ruhigen Nachmittag in einem kleinen Café in Montsou, dem Schauplatz seines berühmten Streiks. Das Café, ein gemütlicher Ort mit Holztischen und warmem Licht, bietet einen Kontrast zu den düsteren Minen, die Étienne einst seine Heimat nannte. Er sitzt an einem Fensterplatz, von dem aus man die alten Minenschächte in der Ferne sehen kann, und nippt an einer Tasse Kaffee. Mit einem nachdenklichen Blick und einer ruhigen Entschlossenheit in seinen Augen begrüßt er uns freundlich und ist bereit, über seine Erfahrungen und die Kämpfe der Bergarbeiter zu sprechen.

Herr Lantier, vielen Dank, dass Sie sich heute Zeit für uns nehmen. Ihr Name ist in aller Munde, seit Sie die Bergarbeiter von Montsou zum Streik geführt haben. Erzählen Sie uns doch zunächst: Was hat Sie ursprünglich dazu bewegt, nach Montsou zu kommen und in den Minen zu arbeiten?

Etienne Lantier: Nun, ich war Maschinist in Lille, aber aufgrund von Unstimmigkeiten mit meinem Arbeitgeber musste ich die Stadt verlassen. Ich war auf Arbeitssuche und hatte gehört, dass es in Montsou Bedarf an Bergarbeitern gab. Also packte ich meine Sachen und machte mich auf den Weg.

Und wie haben Sie die Arbeitsbedingungen in den Minen empfunden, als Sie zum ersten Mal dort ankamen?

Etienne Lantier: Ehrlich gesagt, es war ein Schock. Die Arbeit war hart und gefährlich, die Luft stickig und heiß. Überall lauerten Gefahren, und man musste ständig auf der Hut sein, um nicht von herabfallendem Gestein oder anderen Gefahren verletzt zu werden. Aber am schlimmsten war der Anblick der Männer und Frauen, die nach stundenlanger, kräftezehrender Arbeit völlig erschöpft und vor Kohlenstaub schwarz aussahen. Viele litten an Atembeschwerden und anderen Krankheiten. In diesem Moment wurde mir klar, dass etwas getan werden musste.

Gab es einen bestimmten Moment oder ein Ereignis, das Sie dazu inspiriert hat, die Arbeiter zum Streik zu ermutigen?

Etienne Lantier: Es war weniger ein bestimmtes Ereignis als vielmehr die Summe der Missstände, die ich täglich miterlebte. Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, die ständige Angst vor Unfällen, die niedrigen Löhne, von denen man kaum leben konnte, und die Willkür der Minenbesitzer. Dazu kam die Ungerechtigkeit der neuen Lohnkürzungen, die die Gesellschaft einführen wollte. All das war unerträglich, und ich sah den Streik als einzigen Ausweg.

Montsou: Einst von Kohle geprägt, heute im Wandel.

Welche Herausforderungen haben Sie und Ihre Mitstreiter während des Streiks erlebt?

Etienne Lantier: Es gab viele Herausforderungen. Zunächst einmal die Uneinigkeit unter den Arbeitern selbst. Nicht alle waren von Anfang an vom Streik überzeugt, und es gab immer wieder welche, die lieber zur Arbeit zurückgekehrt wären, um ihre Familien ernähren zu können. Dann war da natürlich der Widerstand der Minenbesitzer und der Obrigkeit, die mit aller Macht versuchten, den Streik zu brechen. Sie schickten Soldaten, um die Minen zu bewachen und die Arbeiter einzuschüchtern. Sie setzten Gerüchte in Umlauf, um die Streikenden zu verunsichern, und versprachen denjenigen, die die Arbeit wieder aufnehmen würden, Vorteile.

Wie haben Sie die Reaktionen der Minenbesitzer und der Obrigkeit auf den Streik wahrgenommen?

Etienne Lantier: Ich war enttäuscht, aber nicht überrascht. Die Minenbesitzer wie Herr Hennebeau und Herr Deneulin lebten in ihrer eigenen Welt und hatten kein Verständnis für die Not der Arbeiter. Sie sahen in uns nur ein Mittel zum Zweck, um ihren Profit zu maximieren. Und die Obrigkeit? Sie stand natürlich auf der Seite der Besitzenden und setzte alles daran, den Streik zu beenden.

Können Sie uns von einem besonders prägenden Erlebnis während des Streiks erzählen?

Etienne Lantier: Ein Erlebnis, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war der Tag, an dem die Soldaten das Feuer auf die streikenden Arbeiter eröffneten. Es war ein schrecklicher Anblick, als die Menge in Panik auseinanderstob und mehrere Menschen tot oder verletzt am Boden liegen blieben. In diesem Moment wurde mir die ganze Brutalität des Systems bewusst.

Wie hat sich Ihre Beziehung zu den anderen Arbeitern und deren Familien im Laufe der Zeit entwickelt?

Etienne Lantier: Zu Beginn war ich für die meisten Arbeiter nur ein Fremder, der neu ins Dorf gekommen war. Doch im Laufe des Streiks entwickelte sich ein starkes Gefühl der Solidarität und des Zusammenhalts. Wir teilten das wenige Essen, das wir hatten, und halfen uns gegenseitig, wo wir nur konnten. Ich wurde in die Familie Maheu aufgenommen und lernte deren älteste Tochter Catherine kennen.

Was waren Ihre größten Hoffnungen und Ängste während des Streiks?

Etienne Lantier: Meine größte Hoffnung war natürlich, dass wir mit dem Streik unsere Forderungen durchsetzen und die Arbeitsbedingungen verbessern könnten. Ich träumte von einer gerechteren Gesellschaft, in der die Arbeiter nicht länger ausgebeutet werden. Aber da war auch die Angst, dass der Streik scheitern und wir alles verlieren könnten.

Wie sehen Sie die Zukunft der Arbeiterbewegung und die Chancen auf bessere Arbeitsbedingungen?

Etienne Lantier: Der Streik mag gescheitert sein, aber ich glaube fest daran, dass der Kampf weitergeht. Die Arbeiter haben ihre Stimme gefunden und werden sich nicht länger alles gefallen lassen. Die Zukunft der Arbeiterbewegung liegt in der Einigkeit und der Solidarität.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, etwas in Ihrem Leben oder in der Geschichte des Streiks zu ändern, was wäre das?

Etienne Lantier: Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht hätte ich versuchen sollen, die Spaltung unter den Arbeitern zu verhindern und alle von der Notwendigkeit eines Generalstreiks zu überzeugen. Aber vielleicht war es auch einfach zu früh, und die Arbeiter waren noch nicht bereit für eine solch radikale Veränderung. Die Zukunft wird es zeigen.

Herr Lantier, Emile Zola hat Ihren Kampf in seinem Roman „Germinal“ festgehalten. Wie sehen Sie den Erfolg dieses Buches?

Etienne Lantier: Zola hat mit „Germinal“ ein Meisterwerk geschaffen, das die Wahrheit über das Leben und Leiden der Bergarbeiter ans Licht bringt. Der Roman hat die Augen vieler Menschen geöffnet und ihnen die Ungerechtigkeit und Brutalität des Systems vor Augen geführt. Zolas detaillierte Beschreibungen der Arbeitsbedingungen, der Armut und der Hoffnungslosigkeit der Menschen haben die Leser erschüttert und dazu beigetragen, dass die soziale Frage stärker in den Fokus der Öffentlichkeit rückte.

Warum, glauben Sie, sollten die Menschen „Germinal“ auch heute noch lesen?

Etienne Lantier: Obwohl „Germinal“ vor über hundert Jahren geschrieben wurde, ist die Geschichte, die er erzählt, heute aktueller denn je. Die Kämpfe der Arbeiterbewegung für bessere Arbeitsbedingungen, für soziale Gerechtigkeit und für ein menschenwürdiges Leben sind auch heute noch nicht vorbei. Der Roman zeigt, wozu Ausbeutung und Unterdrückung führen können, und er erinnert uns daran, dass wir unsere Stimme erheben und für unsere Rechte kämpfen müssen. „Germinal“ ist nicht nur ein Roman über einen Bergarbeiterstreik im 19. Jahrhundert, sondern ein zeitloses Meisterwerk über den Kampf für eine gerechtere Welt.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Etienne Lantier: Der Streik mag gescheitert sein, aber mein Kampf für die Rechte der Arbeiter geht weiter. Ich habe viel gelernt in den letzten Monaten, vor allem durch meine Gespräche mit Rasseneur und Suwarin. Ich bin überzeugt, dass die Arbeiterbewegung eine starke Führung braucht, um ihre Ziele zu erreichen. Ich werde mich weiterhin engagieren, um die Arbeiter zu organisieren und aufzuklären.

Das klingt nach einem langen und mühsamen Weg.

Etienne Lantier: Der Weg zur Gerechtigkeit ist selten einfach, aber ich bin zuversichtlich. Die Arbeiter sind nicht länger bereit, die Ungerechtigkeit und Ausbeutung hinzunehmen. Der Streik in Montsou mag nur ein kleines Aufflackern gewesen sein, aber er ist ein Zeichen für den wachsenden Unmut und das veränderte Bewusstsein der Arbeiterklasse. Ich bin überzeugt, dass die Zukunft uns gehört.

Herr Lantier, wir danken Ihnen für dieses offene und aufrichtige Gespräch.

Émile Zola

Germinal

Roman (1918). E-Book. Erste Auflage 2024.

Erschienen am 1. Juni 2024

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