Das ehemalige Gormannsche Haus am See, nun das Zuhause von Magdalene und Dr. Martin Breuer, strahlt eine besondere Ruhe aus. Im blauen Zimmer, das durch seine elegante und stilvolle Einrichtung besticht, erwartet uns Magdalene Breuer zum Gespräch. Magdalene sitzt in einem bequemen Sessel klassischer Form, der mit einem weichen, hochwertigen Stoff bezogen ist. Neben ihr steht ein kleiner Beistelltisch mit einer antiken Lampe. Hinter dem Sessel öffnet sich ein großes Fenster und gibt den Blick auf den malerischen See frei. Das sanfte, natürliche Licht, das durch das Fenster fällt, taucht den Raum in eine friedliche Stimmung. Hier, in diesem eleganten Salon, der einst von den Gormanns für gesellige Runden genutzt wurde, treffen wir auf eine Frau, die zwischen Hingabe und Verzweiflung gefangen ist, zerrissen zwischen der Liebe zu ihrem genialischen, aber schwierigen Mann und der Sehnsucht nach einem erfüllten eigenen Leben.
Frau Breuer, Ihr Mann und Sie sind vor einiger Zeit aus der Stadt hierher aufs Land gezogen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Magdalene Breuer: Mein Mann ist ein sehr intelligenter, aber auch sehr eigenwilliger Mann. Er arbeitet seit Jahren an einem großen Werk, das ihn völlig in Anspruch nimmt. In der Stadt, mit all ihren Ablenkungen und Anforderungen, fiel es ihm immer schwerer, die nötige Ruhe und Konzentration für seine Arbeit zu finden. Wir hofften, hier, in der Abgeschiedenheit des Sees, einen Ort zu finden, an dem er ungestört seinen Gedanken nachgehen konnte.
War es für Sie ein großes Opfer, die Stadt und Ihre Familie zurückzulassen?
Magdalene Breuer: Natürlich war es nicht einfach für mich. Mein Vater und meine Schwestern leben in der Stadt, und der Kontakt zu ihnen ist mir sehr wichtig. Aber die Liebe zu meinem Mann und der Glaube an sein Werk haben mir die Kraft gegeben, diesen Schritt zu gehen.
Wie erleben Sie das Leben hier auf dem Land? Fühlen Sie sich in der Dorfgemeinschaft angenommen?
Magdalene Breuer: Die Menschen hier sind sehr freundlich und hilfsbereit. Besonders die Pastorin Lerch hat sich sehr um mich bemüht und versucht, mir den Einstieg in die Dorfgemeinschaft zu erleichtern. Trotzdem ist es manchmal nicht leicht für mich, hier Anschluss zu finden. Die Menschen haben oft ganz andere Interessen und Lebensentwürfe als ich.
Ihr Mann verbringt die meiste Zeit mit seiner Arbeit. Vermissen Sie es nicht, mehr am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen?
Magdalene Breuer: Mein Mann braucht die Einsamkeit, um arbeiten zu können. Jede Ablenkung, jedes Gespräch, das nicht mit seiner Arbeit zusammenhängt, bringt ihn aus dem Konzept. Das macht es mir natürlich nicht immer leicht. Ich bin von Natur aus ein geselliger Mensch, und manchmal sehne ich mich nach mehr Austausch und Abwechslung. Aber ich weiß, wie wichtig ihm seine Arbeit ist, und ich möchte ihn dabei unterstützen, wo ich nur kann.
Was können Sie uns über die Arbeit Ihres Mannes erzählen? An welchem Werk arbeitet er?
Magdalene Breuer: Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Die Arbeit meines Mannes ist sehr komplex und ich bin nicht sicher, ob ich sie selbst wirklich verstehe. Er hält seine Forschungen sehr geheim, selbst mir gegenüber spricht er nur selten darüber.
Es wird gemunkelt, dass Ihr Mann unter einer Schreibblockade leidet und dass dies der wahre Grund für seinen Rückzug aufs Land ist. Was sagen Sie zu diesen Gerüchten?
Magdalene Breuer: Mein Mann ist ein Genie! Er hat ein so tiefes Verständnis von den großen Fragen der Menschheit, wie ich es noch bei keinem anderen Menschen erlebt habe. Es ist nur natürlich, dass er bei der Bewältigung einer so gewaltigen Aufgabe auch mal vor Schwierigkeiten steht. Ich bin mir sicher, dass er diese Hürden überwinden und sein Werk eines Tages vollenden wird.
Glauben Sie, dass die Beziehung zu Ihrem Mann unter dieser Situation leidet?
Magdalene Breuer: Jede Ehe hat ihre Herausforderungen. Es ist nicht immer leicht, die Bedürfnisse des Partners mit den eigenen in Einklang zu bringen.
Frau Breuer, der Roman schildert eindringlich die Herausforderungen Ihrer Ehe und die Opfer, die Sie für das Werk Ihres Mannes bringen. Gleichzeitig wirft er Fragen nach der Rolle der Frau in einer von Männern dominierten Welt auf. Sehen Sie in der Geschichte Ihrer literarischen Figur auch Anknüpfungspunkte zur Situation der Frau im 21. Jahrhundert?
Magdalene Breuer: Ja, diese Anknüpfungspunkte sehe ich durchaus. Nehmen Sie zum Beispiel die Geschichte meiner literarischen Figur Magdalene und ihrer Schwester Marietta. Magdalene wählt ein Leben im Schatten des Genies, während Marietta den konventionellen Weg von Ehe und Familie geht. Diese Entscheidung wird ihr im Roman zwar nicht direkt zum Vorwurf gemacht, aber es wird deutlich, dass sie damit auf ein Stück weit auf ein eigenes, unabhängiges Leben verzichtet. Auch heute, im 21. Jahrhundert, stehen Frauen oft vor der Herausforderung, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, und viele sehen sich gezwungen, Kompromisse einzugehen.
Würden Sie sagen, dass sich die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen seit der Zeit, in der der Roman spielt, grundlegend geändert haben?
Magdalene Breuer: Ich denke, es hat sich vieles verändert, aber einige grundlegende Muster sind geblieben. Der Roman spielt in einer Zeit des Umbruchs, in der traditionelle Werte und Lebensentwürfe hinterfragt werden. Frauen beginnen, sich aus den alten Rollenbildern zu lösen und nach neuen Lebensentwürfen zu suchen. Diese Suche ist auch heute noch aktuell. Obwohl Frauen heute deutlich mehr Möglichkeiten haben als noch vor hundert Jahren, sind die Erwartungen an sie oft widersprüchlich. Sie sollen gleichzeitig erfolgreich im Beruf sein und eine perfekte Mutter und Ehefrau.
Der Roman spielt in einer Zeit des Umbruchs, in der traditionelle Werte und Lebensentwürfe hinterfragt werden. Gleichzeitig gewinnt der Materialismus zunehmend an Bedeutung. Welche Parallelen sehen Sie zwischen der damaligen Gesellschaft und der heutigen materialistischen Welt? Welche zeitlosen Fragen wirft der Roman in diesem Zusammenhang auf?
Magdalene Breuer: Der Roman zeigt sehr deutlich den Konflikt zwischen Idealismus und Materialismus am Beispiel meines Vaters, des Fabrikdirektors Dietholm. Ihm ist der materielle Erfolg wichtig, er kann die Hingabe meines Mannes an sein Werk nicht verstehen. Diese Gegensätze prägen auch unsere heutige Gesellschaft. Wir leben in einer Welt, in der Konsum und materieller Besitz oft überbewertet werden. Der Roman erinnert uns daran, dass es im Leben nicht nur um materielle Dinge geht, sondern auch um Werte wie Liebe, Hingabe und die Suche nach dem Sinn des Lebens.
Frau Breuer, wir danken Ihnen für das offene Gespräch.
Helene von Mühlau
Frau Doktor Breuer
Roman (1920). E-Book. Neue Auflage 2024.
Erschienen am 20. September 2024